Ein Reiskorn ist größer als die Erde - Autobiografie - Sun Myung Moon - Mein Leben für den Weltfrieden

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- Kapitel 2 - Ein Fluss von Tränen fliesst in meinem Herzen -



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Ein Reiskorn ist größer als die Erde


Drei Monate nach meiner Inhaftierung im Pyeongyang-Gefängnis wurde ich am 20. Mai ins Heungnam-Gefängnis überstellt. Ich war empört und zur gleichen Zeit vor dem Himmel beschämt. Ich wurde mit einem Dieb zusammengebunden, damit ich nicht flüchten konnte. Ein Wagen holte uns ab und die Fahrt dauerte 17 Stunden. Als ich aus dem Fenster blickte, stieg in mir ein starkes, kummervolles Gefühl auf. Es schien mir unglaublich, dass ich diesen gewundenen Weg entlang von Flüssen und durch Täler als ein Gefangener fahren musste.


Das Heungnam-Gefängnis war ein Konzentrationslager für spezielle Arbeiter, die in der Stickstoffdüngemittelfabrik von Heungnam arbeiteten. Während der nächsten zwei Jahre und fünf Monate musste ich harte Zwangsarbeit leisten. Zwangsarbeit war eine Praxis, die Nordkorea von der Sowjetunion übernommen hatte. Die sowjetische Regierung konnte Menschen der Bourgeoisie und andere, die keine Kommunisten waren, nicht einfach töten, denn die Welt schaute auf sie und sie musste die Weltmeinung berücksichtigen. So entstand die Idee der Bestrafung mit Zwangsarbeit. Menschen, die auf diese Weise ausgebeutet wurden, wurden gezwungen, so lange zu arbeiten, bis sie vor Erschöpfung starben. Die nordkoreanischen Kommunisten kopierten das sowjetische System und verurteilten alle Gefangenen zu drei Jahren Zwangsarbeit. In Wirklichkeit starben die meisten Gefangenen schon vor Ablauf dieser Zeit.

Unsere Tage begannen um 4.30 Uhr am Morgen. Wir mussten uns in Formation auf einem Feld aufstellen und unsere Körper und unsere Kleidung wurden nach verbotenen Gegenständen untersucht. Wir zogen all unsere Kleidung aus und jedes Teil wurde genau inspiziert. Jedes Kleidungsstück wurde so lange geklopft, bis sogar das letzte Staubkorn herausfiel. Der ganze Prozess dauerte mindestens zwei Stunden. Heungnam lag am Meer und im Winter war der Wind so schmerzhaft wie ein Messer, das in unsere nackten Körper schnitt.

Wenn die Kontrolle vorbei war, erhielten wir ein scheußliches Essen. Dann gingen wir vier Kilometer zur Düngerfabrik. Wir mussten in Viererreihen marschieren, die Hand der daneben befindlichen Person halten und durften nicht einmal unsere Köpfe hochhalten. Wachen, mit Gewehren und Pistolen bewaffnet, umringten uns. Jeder, der nicht schnell genug war, so dass seine Reihe zurückfiel, oder der nicht im Stande war, die Hand seines Nachbarn zu halten, wurde wegen Fluchtversuch aufs Schwerste geschlagen.

Im Winter lag der Schnee höher als ein Mann groß ist. Wenn wir an kalten Wintermorgen durch den mannshohen Schnee marschierten, fing in meinem Kopf alles an sich zu drehen. Der gefrorene Weg war extrem rutschig und der kalte Wind blies so heftig, dass die Haare auf unserem Kopf in die Höhe standen. Wir hatten –selbst nach dem Frühstück – keine Energie mehr und unsere Knie knickten immer wieder ein. Trotzdem mussten wir zu unserer Arbeitsstelle kommen, auch wenn das bedeutete, dass wir unsere erschöpften Beine den Weg entlang schleppen mussten. Diesen Weg zu gehen, brachte uns an die Grenze der Bewusstlosigkeit. In diesen Momenten sagte ich mir immer wieder, dass ich dem Himmel gehöre.

In der Fabrik gab es einen Hügel mit einer Substanz, die wir kurz als „Ammoniak“ bezeichneten. In Wirklichkeit war es wahrscheinlich Ammoniumsulfat, eine gebräuchliche Form von Düngemittel. Es kam per Förderband und sah aus wie ein weißer Wasserfall, wenn es vom Band hinunter auf die Aufschüttung fiel. Es war ziemlich heiß, wenn es vom Band herunterkam. Dämpfe stiegen auf – und das sogar mitten im Winter. Schnell kühlte es ab und wurde so hart wie Eis.

Unsere Arbeit war, den Dünger aus dem Hügel in Strohsäcke zu schaufeln. Wir nannten diesen Hügel, der über 20 m hoch war, den „Düngerberg“. 800 bis 900 Menschen waren auf einer großen Fläche damit beschäftigt, den Dünger wegzuschaufeln. Es sah aus, als ob wir versuchten, den Berg in zwei Teile zu schneiden.

Wir waren in Teams zu je zehn Personen eingeteilt. Jedes Team war verantwortlich, täglich 1.300 Säcke zu füllen und zu verladen. Jeder musste daher 130 Säcke füllen. Falls ein Team es nicht schaffte, seine Quote zu erreichen, bekam es nur die halbe Essensration. Jeder arbeitete so, als ob sein Leben davon abhing, diese Quote zu erfüllen.

Um so effizient wie möglich die Düngemittelsäcke zu tragen, machten wir Nadeln aus Stahldraht und benutzten sie, um die gefüllten Säcke zuzubinden. Wir legten ein Stück des Drahtes auf das Eisenbahngleis, das auf dem Boden der Fabrik entlang lief. Der Draht wurde flachgedrückt, indem wir einen von den kleinen Eisenbahnwagen, die Material transportierten, darüber rollen ließen. Dann konnte er als Nadel gebraucht werden.

Um Löcher in die Säcke zu machen, benutzten wir Glasscherben, die wir bekamen, indem wir Fabrikfenster zerbrachen. Die Wächter mussten irgendwie Mitleid mit uns gehabt haben, weil ihre Gefangenen unter solch brutalen Bedingungen arbeiten mussten, denn sie hielten uns nie davon ab, die Glasfenster in der Fabrik zu zerbrechen. Einmal brach ich mir einen Zahn ab, als ich versuchte, ein Stück Draht zu durchtrennen. Noch heute kann man sehen, dass einer meiner Schneidezähne kaputt ist. Das bleibt für mich eine unvergessliche Erinnerung an das Heungnam-Gefängnis.

Jeder magerte unter dem Druck der harten Arbeit ab. Ich war die Ausnahme. Ich konnte mein Gewicht bei ungefähr 72 kg halten, was mir den Neid der anderen Gefangenen einbrachte. Was körperliche Kraft anbetraf, war ich unübertroffen. Einmal wurde ich jedoch extrem krank, mit Symptomen ähnlich einer Tuberkulose. Ich hatte diese Symptome fast einen Monat lang. Aber ich versäumte nicht einen Arbeitstag in der Fabrik. Ich wusste, wenn ich nicht da wäre, müssten andere Gefangene die Verantwortung für meinen Teil der Arbeit übernehmen. Die Leute nannten mich wegen meiner Stärke „der Mann wie eine Stahlstange“. Ich konnte auch die schwerste Arbeit ertragen. Gefängnis und Zwangsarbeit waren für mich kein so großes Problem. Egal wie hart die Schläge oder wie schrecklich die Umgebung, ein Mensch kann es aushalten, wenn er ein bestimmtes Ziel in seinem Herzen trägt.

Die Gefangenen waren auch Schwefelsäure ausgesetzt, die in der Herstellung von Ammoniumsulfat verwendet wurde. Als ich in der Kawasaki-Stahlfabrik in Japan arbeitete, sah ich mehrere Fälle, wo jemand nach dem Reinigen von Fässern, in denen Schwefelsäure gelagert worden war, an den Folgen einer Säurevergiftung starb. Die Situation in Heungnam war viel schlimmer. Der Schwefelsäure ausgesetzt zu sein war so schädlich, dass es Haarausfall verursachte und sich geschwürähnliche Wunden auf der Haut bildeten, aus denen Eiter lief. Die meisten Menschen, die in der Fabrik arbeiteten, begannen Blut zu erbrechen und starben nach ungefähr sechs Monaten. Wir trugen als Schutz Gummistücke an unseren Fingern. Aber die Säure fraß sich schnell hindurch. Die Säuredämpfe fraßen sich auch durch unsere Kleidung und machten sie unbrauchbar. Unsere Haut brach auf und blutete. In einigen Fällen wurden die Knochen sichtbar. Wir mussten ohne auch nur einen Tag Ruhe weiterarbeiten, selbst wenn unsere Wunden bluteten und Eiter herauslief.

Unsere Essensrationen bestanden aus weniger Reis als in zwei kleine Schüsseln hineinpasste. Es gab keine Beilagen. Wir bekamen noch eine Suppe mit Rettichgemüse in Salzwasser. Die Suppe war so salzig, dass unser Hals zu brennen anfing. Aber der Reis war so hart, dass wir ihn nicht essen konnten, ohne ihn mit der Suppe zusammen hinunterzuspülen. Niemals ließ jemand auch nur einen Tropfen Suppe übrig. Nachdem wir unsere Reisschüssel bekommen hatten, stopften die Gefangenen den ganzen Reis auf einmal in ihren Mund. Wenn sie ihren Reis gegessen hatten, schauten sie herum und reckten ihre Hälse, um den anderen beim Essen zuzuschauen. Manchmal steckte jemand seinen Löffel in die Suppenschüssel eines anderen. Dann kam es zum Kampf.

Ein Pastor, der mit mir in Heungnam war, sagte eines Tages zu mir: „Gib mir nur eine Bohne und ich werde dir, nachdem wir hier raus sind, zwei Kühe dafür geben.“ Die Menschen waren so verzweifelt. Wenn ein Gefangener während der Mahlzeit starb, holten sie den letzten Reisrest aus seinem Mund und aßen ihn selbst.

Der Schmerz des Hungers kann nur von denen verstanden werden, die ihn erlebt haben. Wenn ein Mensch hungrig ist, dann wird sogar ein bloßes Reiskorn sehr kostbar. Auch jetzt noch werde ich angespannt, wenn ich an Heungnam denke. Es ist schwer zu glauben, dass ein einziges Reiskorn dem Körper eine solche Stimulation geben kann. Wenn man jedoch hungrig ist, dann sehnt man sich so sehr nach Essen, dass man sogar weint. Hat ein Mensch einen vollen Magen, erscheint die Welt groß. Aber für einen hungrigen Menschen ist ein Reiskorn größer als die Erde. Ein Reiskorn bekommt einen enormen Wert für jemanden, der hungrig ist.

Vom ersten Tag an machte ich es mir im Gefängnis zur Gewohnheit, eine Hälfte meiner Reisportion meinen Mitgefangenen zu geben und nur die andere Hälfte für mich zu behalten. Ich trainierte mich auf diese Weise drei Wochen lang. Danach aß ich die ganze Portion. Das gab mir das Gefühl, dass ich genug Reis für zwei Personen aß, was mich den Hunger leichter aushalten ließ.

Das Leben in diesem Gefängnis war so furchtbar, dass jemand, der das nicht erlebt hat, es sich gar nicht vorstellen kann. Die Hälfte der Gefangenen starb innerhalb eines Jahres. Jeden Tag mussten wir zuschauen, wie tote Körper in Holzkisten durch das Hintertor hinausgetragen wurden. Wir arbeiteten so hart, aber unsere einzige Hoffnung, dieses Gefängnis je zu verlassen, war, als toter Körper in einem Holzsarg hinausgetragen zu werden. Was sie uns antaten, sprengte auch für ein gnadenloses und grausames Regime alle Grenzen der Menschlichkeit. All diese Düngemittelsäcke, gefüllt mit den Tränen und Schmerzen der Gefangenen, wurden auf Schiffe verladen und in die Sowjetunion gebracht.




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