Der verrückte Mann neben dem Brunnen - Autobiografie - Sun Myung Moon - Mein Leben für den Weltfrieden

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- Kapitel 3 - Innerer Reichtum durch Kampf und Leid -



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Der verrückte, gutaussehende Mann neben dem Brunnen


Als wir die Lehmhütte bauten und mit der Kirchenarbeit in Beom-naet Gol begannen, gab es nur drei Leute, die meine Predigten hörten. Aber für mich war es nicht eine Rede nur für jene drei Personen. Ich sagte zu mir selbst: „Obwohl sie unsichtbar sind, predige ich zu Tausenden, sogar Zehntausenden.“ Wenn ich predigte, stellte ich mir vor, dass die gesamte Menschheit zuhören würde. Diese drei Personen saßen vor mir, während ich die Worte des Prinzips mit lauter, dröhnender Stimme vermittelte.


Es gab einen Brunnen vor unserem Haus. Bald begann sich ein Gerücht unter denjenigen, die zum Brunnen kamen, um Wasser zu holen, zu verbreiten, dass ein verrückter Mann in dem Haus mit den Lehmwänden leben würde. Sie holten ihr Wasser und spähten in diese wackelige Lehmhütte, um einen Mann in erbärmlicher Kleidung zu sehen, der so sprach, als würde er lauthals Befehle an die ganze Welt geben. Es war nur natürlich, dass Menschen begannen, untereinander über mich zu reden. Ich predigte, dass Himmel und Erde auf den Kopf gestellt würden und dass Korea die Welt vereinigen würde.

Gerüchte über mich begannen sich bald über die Brunnenbenutzer hinaus zu denjenigen auszubreiten, die am Fuße des Hügels lebten. Vielleicht waren es diese Gerüchte, die die Menschen neugierig machten und veranlassten heraufzukommen, um sich den verrückten Mann, der neben dem Brunnen lebte, anzuschauen. Unter diesen Neugierigen befanden sich auch Studenten von einem nahegelegenen theologischen Seminar sowie eine Gruppe von Professoren von der angesehenen Ewha-Frauenuniversität. Die Gerüchte wurden noch ausgeschmückt und es hieß, ich wäre ein gutaussehender Mann mit guter Statur, so dass Frauen mittleren Alters zum Zeitvertreib den Hügel hochstiegen, um mich zu sehen.

An dem Tag, an dem ich die Niederschrift von Wolli Wonbon beendete, legte ich meinen Bleistift nieder und betete: „Der Augenblick ist nun gekommen, um zu missionieren. Bitte schicke mir die Heiligen, denen ich Zeugnis geben darf.“ Danach ging ich nach draußen zum Brunnen. Es war der 10. Mai im späten Frühling. Ich trug eine traditionelle koreanische Hose, die mit Baumwolle gefüttert war, sowie eine alte Jacke, die mich in der Hitze schwitzen ließ. Ich sah eine junge Frau, die gerade den Schweiß von ihren Augenbrauen wegwischte, während sie sich abmühte, den Hügel in Richtung des Brunnens hochzukommen.

Ich sprach sie an und sagte: „Gott gab dir während der letzten sieben Jahre ungeheuer viel Liebe.“ Sie schreckte verwundert zurück. Es war vor sieben Jahren gewesen, als sie sich entschieden hatte, ihr Leben Gott zu widmen.

„Mein Name ist Hyun Shil Kang“, begann sie. „Ich bin eine Evangelistin der Beom Cheon-Kirche, die sich in der Nachbarschaft am Fuße des Hügels befindet. Ich hörte, dass hier ein verrückter Mann lebt. Ich bin gekommen, um ihn zu missionieren.“

So begrüßte sie mich. Ich lud sie in unser Haus ein. Sie sah sich in dem armseligen Raum um und machte deutlich, wie seltsam sie ihn fand. Schließlich richtete sich ihr Blick auf mein Pult. „Warum hast du so viele Bleistifte?“, fragte sie.

„Bis heute früh“, antwortete ich, „habe ich an einem Buch geschrieben, das das Prinzip des Universums offenbart. Ich denke, Gott hat dich hergeschickt, damit du von mir etwas über dieses Prinzip lernen kannst.“

„Was?“, fragte sie. „Ich bin hier, weil ich gehört habe, dass hier ein verrückter Mann lebt, dem Zeugnis gegeben werden muss.“

Ich reichte ihr ein Kissen zum Sitzen und setzte mich ebenfalls. Das Quellwasser machte ein plätscherndes Geräusch, während es unterhalb von uns hindurchfloss.

„In Zukunft wird Korea eine Rolle an der Weltspitze spielen“, sagte ich. „Die Menschen werden bedauern, dass sie nicht als Koreaner geboren werden konnten.“ Sie dachte offensichtlich, dass ich Unsinn redete.

„So wie Elias in der Person von Johannes dem Täufer erschien“, fuhr ich fort, „wird Jesus im Fleisch nach Korea kommen.“ Das machte sie ärgerlich. „Ich bin sicher, Jesus hat bessere Orte zu besuchen als unser erbärmliches Korea“, entgegnete sie.

Dann sagte sie: „Hast du jemals das Buch der Offenbarung gelesen? Ich habe …“ Ich unterbrach sie mitten in ihrem Satz und sagte: „Du möchtest sagen, du hast an der theologischen Hochschule von Goryeo studiert?“

„Woher hast du das gewusst?“, fragte sie.

„Glaubst du, ich hätte auf dich gewartet, ohne nicht einmal das über dich zu wissen? Du sagtest, du bist gekommen, um mich zu missionieren. Dann lehre mich, bitte.“

Hyun Shil Kang war eindeutig sehr sachkundig in Theologie. Sie zitierte mir einen Bibelvers nach dem anderen in dem Bemühen, meine Ansichten anzugreifen. Sie fuhr fort, mich stark herauszufordern, während ich auf jede ihrer Herausforderungen mit kräftiger und klarer Stimme antwortete. Unsere Debatte dauerte so lange, dass es begann dunkel zu werden. So stand ich auf und kochte ein Abendessen. Das Einzige, was wir außer Reis hatten, war etwas überreifer Kimchi (fermentierter Kohl mit rotem Paprika oder anderen Zutaten, weit verbreitet in der koreanischen Küche). Und dennoch saßen wir da, mit dem Geräusch des plätschernden Wassers unter uns, und teilten diese Mahlzeit miteinander, bevor wir unsere Debatte fortsetzten. Sie kam am nächsten Tag und am übernächsten Tag wieder zurück, um jedes Mal weiter zu diskutieren. Letzten Endes entschied sie sich, ihr Leben dem Prinzip, das ich lehre, zu weihen.

Später im Jahr, an einem windigen Novembertag, erschien meine Ehefrau an der Tür der Beomnaet-gol-Hütte. Neben ihr stand ein siebenjähriger Junge, mein Sohn, der in dem Jahr geboren worden war, als ich mein Zuhause verlassen hatte. An jenem Tag war ich weggegangen, um Reis zu holen, doch stattdessen hatte ich mich auf den Weg nach Pyeongyang gemacht. Die Jahre waren vergangen und jetzt war er zu einem jungen Burschen herangewachsen. Ich konnte mich weder dazu durchringen, ihm in die Augen zu sehen, noch konnte ich meine Hand ausstrecken, um seine Wange zu streicheln und ihn freudig zu umarmen. Ich stand nur da wie versteinert – festgefroren und sprachlos.

Meine Frau musste kein Wort sagen. Ich spürte den Schmerz und das Leid, das diese arme Mutter und das Kind inmitten des Krieges erleben mussten. Schon vor ihrem Besuch hatte ich gewusst, wo sie lebten und wie ihre Situation war. Doch ich war noch nicht an dem Punkt angelangt, wo ich mich um meine Familie hätte kümmern können. Ich wusste das und ich hatte sie – wie vor unserer Heirat – mehrmals gebeten: „Bitte vertraue mir und warte noch ein wenig länger.“

Mein Plan war, zu ihnen zu gehen, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen war. Doch in dem Moment, als sie in der Tür standen, war der richtige Zeitpunkt noch nicht gekommen. Die Hütte, unsere Kirche, war klein und schäbig. Einige Mitglieder aßen dort und lebten dort mit mir, um Gottes Wort zu studieren. Ich konnte meine Familie nicht dorthin bringen. Meine Frau sah sich in der Hütte um, drückte ihre große Enttäuschung aus, drehte sich um und ging mit meinem Sohn den steilen Weg wieder hinunter.




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